Zivile, gewaltfreie Protestformen stellen sich grundsätzlich nicht gegen die verfassungsmässige Ordnung, sondern gehen konstitutiv aus ihr hervor. - Als sich neulich ein bayerischer Staatsminister fast dafür schämte, bei einer Demonstration (wg. GEMA) mitgelaufen zu sein, demonstrierte das ein seltsames Politikverständnis und ein weiteres Mal, dass sich Mitglieder einer bestimmten Regionalpartei mit dem Staat auf bizarre Weise gleichzusetzen scheinen.- Es ist eine Binse, dass in funktionierenden rechtsstaatlichen Demokratien der doppelte Regierungswechsel eine wichtige Funktion hat, indem Regierungs- und Oppositionshandeln durch regelmässige Wahlen von allen demokratischen Parteien ausgeübt wird. -

Ein anderer Politiker aus dem südlichen Bundesland hatte vor einigen Tagen davor gewarnt, dass der Klima-Aktivismus nicht zu einer Klima-RAF mutieren dürfe.. - So diffamierend es auf den ersten Blick auch sein mag, wenn Anklebe-Aktionen und Food-Installationen auf Bildergläsern, mit schlussendlich mörderischer Gewalt gegen Menschen, in einen Zusammenhang genannt werden, es erscheint ob der deutschen Protest-Geschichte, die auch eine Demokratie-Geschichte meint, doch lohnend, sich die Phänomene sich mal zu betrachten.

Blicke ich, wenn ich das an dieser Stelle darf, auf meine persönliche politische Sozialisation zurück, dann erinnere ich mich, dass es nach dem sog. 'Deutschen Herbst', einer Serie von linksterroristischem Morden, begangen vorgeblich aufgrund von 'idealistischen' antifaschistischen Motiven durch sich als Herrinnen und Herren über Leben und Tod gerierenden Aktivisten, der west-deutsche Staat unter der Ägide einer sozialdemokratisch-liberalen Regierung, beinahe mit reziproker Härte und Unnachgiebigkeit reagierte. - Sich nicht (mehr) erpressbar zu machen, endete, wie im Falle des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, in einer schwierigen Abwägungsentscheidung, einer zu bestimmenden Staatsräson wegen, mit dessen Tod. - 1977 war das. - Und es war einer jener absoluten Tiefpunkte, indem sich junge, meist aus sogenannten guten Elternhäusern stammenden Frauen und Männer buchstäblich zu Richter:innen über Leben und Tod ermächtigten - wobei Chauffeure, Begleiter und Polizisten bei sog. Entführungsaktionen sofort brutal ermordet wurden. - Die Linksterroristen

Evangelische Kirche(n) auf dem Weg zur Klimaneutralität 2035

Aimée van Baalen



Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde! Ich bin hier, um der größten Ge- fahr unserer Generation, der größten Gefahr der Menschheit die nötige Präsenz zu verleihen. Die Gefahr und die Dringlichkeit der Klimakatastrophe werden leider viel zu oft totgeschwiegen und von Politik und Gesellschaft nicht im Geringsten angemessen adressiert. Umso dankbarer bin ich dafür, dass wir uns heute hier gemeinsam die Zeit dafür nehmen.

Fast vier Milliarden Menschen leben in Regionen, die bereits in einigen Jahren nicht mehr bewohnbar sein werden. Unzählige von ihnen werden einen Hunger- oder Hitzetod sterben. Allein bis 2030 werden 700 Millionen von ihnen fliehen – heimatlos, nach Schutz suchend. Dürre und Wassermangel werden die Landwirtschaft weltweit in die Knie zwingen. Die Preise steigen – die soziale Ungerechtigkeit auch. Ganze Nationen befinden sich im Notfallmodus. In einer Welt, in der es zu wenig für viele gibt, wird der Ruf nach Zäunen und Ausgrenzung immer lauter. Und immer häufiger kommt es zu Krawallen auf den Straßen, zu Kämpfen, zum Krieg.

Sie finden, dass das ein drastisches Szenario ist, das ich gerade beschrieben habe? Es stammt nicht von mir. Es stammt von den Autor:innen des Weltklimaberichts, den besten Wis- senschaftler:innen dieser Welt.

Ich stehe heute hier, weil ich Angst habe. Ich befürchte, dass meine Familie, dass meine zwei Brüder eines Tages von diesem Leid Zeuge oder sogar Opfer werden könnten.

Ich vermute, dass Ihnen die drastische Situation, das sich schließende Zeitfenster, bewusst ist. Laut Bericht des Weltklimarats werden die nächsten Jahre die entscheidenden sein. Denn wenn wir erste Klimakipppunkte erst überschreiten, wird ein Dominoeffekt ausgelöst, den wir nicht mehr stoppen können. Ich habe Angst, dass wir dieses Zeitfenster, in dem wir noch han- deln können, verpassen.

Vielleicht geht es Ihnen wie mir vor einigen Jahren. Die Katastrophe steht vor der Tür, und die Menschen, die das Verständnis und vor allem auch die Möglichkeit dazu haben, fangen an, innerhalb der eigenen vier Wände nach Lösungen zu suchen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist super, aber das wird leider nicht ausreichen. Diese Katastrophe wird uns persönlich und keinen unserer gesellschaftlichen Kreise unberührt lassen. Deshalb müssen wir uns so- wohl persönlich mit der Klimakatastrophe auseinandersetzen, die Emotionen zulassen, nicht länger verdrängen, die Fakten anerkennen als auch unseren gesellschaftlichen Einfluss nut- zen, damit der Wandel, welcher schon längst überfällig ist, vorangetrieben wird.

Unsere Regierung redet viel vom Klimaschutz und davon, auf dem 1,5-Grad-Pfad zu sein. Leider handelt sie nicht entsprechend. Damit der systematische Schutz unserer Lebensgrund- lagen zur Realität wird, müssen endlich die dafür notwendigen politischen Entscheidungen getroffen und dann auch umgesetzt werden. Natürlich ist es ein wichtiger und definitiv richtiger Schritt, dass die evangelische Kirche als gutes Vorbild daran arbeitet, möglichst rasch ihre Emissionen zu verringern und Umweltschutz voranzutreiben. Aber wenn die Politik nicht end- lich ihren Kurs ändert, wird das alles leider umsonst gewesen sein.

Beim Klimaschutz genügt es nicht, möglichst viel zu tun. Erst wenn wir tatsächlich genug tun, um die Klimakipppunkte nicht zu überschreiten, sind wir sicher. Andernfalls setzen wir eine Abwärtsspirale in Gang, es kommt zu unaufhaltsamen Kettenreaktionen, die die Erderwär- mung unkontrollierbar verstärken. Die dadurch ausgelösten Umweltveränderungen werden die Menschheit über Generationen, wenn nicht sogar Jahrtausende nicht mehr in den Griff be- kommen.

Seit Monaten befinden sich mutige Menschen im friedlichen zivilen Widerstand gegen das Weiter-so und damit gegen ein System, das uns in den Untergang führt. Sie setzen ihre kör- perliche Unversehrtheit, ihre berufliche und familiäre Zukunft und auch ihren Alltag aufs Spiel. Das tun sie, weil alle andere Protestformen erschöpft wurden, weil ihre warnenden Stimmen

weiterhin ignoriert werden, aber weil wir vor allem Zuversicht und Nächstenliebe im Herzen tragen. Gerade in diesem Moment sitzen in Bayern zwölf von ihnen für einen Monat unverur- teilt im Präventivgewahrsam, weil sie sich wiederholt mit Körper und Gesicht und mit dem vollen Namen für einen Wandel einsetzten, der uns nicht umbringt.

Unser Protest ist der Versuch, nach dem Vorbild historischer gewaltfreier Widerstände eine echte Chance der Neubewertung zu erzeugen, ein Stopp des Alltags, in dem wir alle dazu angehalten werden, die Situation zu betrachten und uns zu positionieren. Stellen Sie sich nur mal vor, mehrere Tausend Menschen blieben so lange auf den Straßen, bis wir als Gesell- schaft zusammenkommen und Lösungen finden – Lösungen, die nicht von Lobbys und Kon- zernen beeinflusst werden, sondern von uns allen gleichermaßen.

Nicht jeder oder jede von Ihnen wird sich vorstellen können, eine Autobahn zu blockieren. Wir haben uns nicht leichtfertig für diese Aktion entschieden, aber wir wissen aus der Geschichte, dass friedlicher Widerstand funktionieren kann und dass er vor allem demokratisch ist, da er sich gegen ein riesiges Unrecht mittels eines vergleichsweise kleinen Regelverstoßes wendet und weil die Mehrheit der Bevölkerung hinter unseren Forderungen steht, den nach einem 9- Euro-Ticket und dem Tempolimit 100.

Wir gewährleisten dabei stets die Sicherheit aller Beteiligten und haben immer und ausnahms- los eine Rettungsgasse. Vielleicht haben Sie den Vorfall, der sich vor einer Woche ereignete, mitbekommen. Eine Fahrradfahrerin war zu Tode gekommen. Die Medien stürzten sich darauf, instrumentalisierten ihren Tod, um uns und den Klimaprotest im Allgemeinen zu delegitimieren, und das, obwohl von Anfang an klar war, dass unser Protest keinen Einfluss auf das Überleben der Frau hatte. Wir bekommen täglich Morddrohungen, aber so schlimm wie in diesen Tagen war es nie zuvor. Erst als die Notärztin bestätigte, dass wir nicht daran beteiligt waren, wurde es besser. Das zeigt noch einmal ganz klar, wie wichtig es ist, für die Klimaaktivistinnen die Stimme zu erheben.

Ja, wir wünschten uns sehr, dass unser Protest nicht nötig wäre. Aber wenn wir ehrlich sind, können wir nur deswegen darüber diskutieren, welcher Weg der richtige oder falsche ist, weil wir nicht diejenigen sind, die gerade ertrinken und deren Land unter Wasser steht. Ich bin weder bereit, darauf zu warten, bis die nächste Flut wie im Ahrtal das Zuhause meiner Familie wegspült, noch bin ich bereit, weiter dabei zuzusehen, wie das aktuell unter anderem in Pa- kistan geschieht.

Es ist an der Zeit, Risiken einzugehen. Denn jetzt zu schweigen, ist das größte Risiko von allen. Wir sehen, dass der Protest zunehmend Erfolg hat. Es wird immer mehr über die Klima- katastrophe berichtet. Immer mehr Menschen stellen sich hinter uns und unsere Forderung, so auch der Jesuitenverband. Letztendlich war Jesus selbst ein Widerständler, der sich ge- sellschaftlichen Regeln und Normen entgegensetzte, wenn seine moralische Pflicht es ver- langte. Er setzte sich immer für unterprivilegierte Menschen ein, und er riskierte letztendlich dafür den Tod.

Für einen Widerstand brauchen wir Hilfe. Wir brauchen die Kirche, die evangelische Kirche auf unserer Seite. Was heißt das konkret? Sie haben die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben für die Menschen im globalen Süden, aber auch für die Menschen hier in Deutschland. Am allerallerwichtigsten ist es, dass Sie an die Politik appellieren. Bestehen Sie darauf, dass die Regierung endlich ihre eigenen Klimaschutzziele einhält. Bringen Sie Aktivistinnen in Gesprä- che rein. Helfen Sie uns, eine Verhandlungsposition zu erhalten, um endlich den Klimaschutz umzusetzen, den es in dieser Krisenzeit braucht.

Äußern Sie öffentlich Ihr Unverständnis und auch gerne Ihre Wut darüber, dass die Klimaziele und das Grundgesetz gerade nicht eingehalten werden. Unterstützen Sie uns sowohl vor Ort, zum Beispiel durch das Bereitstellen von Unterkünften und Hilfe bei der Organisation, als auch

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von zu Hause, zum Beispiel durch Spenden und vor allem durch das aktive Suchen des Ge- sprächs und das Vermitteln von Kontakten.

Wenn Sie sich unsicher sind oder noch mehr Fragen haben, ist das kein Problem. Kommen Sie auf uns zu. Kontaktieren Sie mich. Ich beantworte gern alle Fragen, und ich bin immer für einen Austausch offen.

Wir brauchen jetzt eine gesellschaftliche Transformation. Diese werden wir nur mithilfe der Kirche schaffen. Wir müssen uns jetzt trauen, etwas zu sagen, auch wenn es nicht einfach ist, sonst lassen wir Milliarden Menschen weltweit und die junge Generation im Stich. Ich bitte Sie daher inständig, nicht nur die evangelische Kirche klimaneutral zu machen, obwohl das bitte so schnell es geht, sondern einen der oben genannten Punkte zu wählen und auch dort aktiv mit anzupacken. Es braucht nicht nur innere Richtlinien, es braucht auch äußere Richtlinien.

Wir als junge Generation brauchen Sie als Institution Kirche, aber auch als Einzelpersonen. Brechen Sie Ihr Schweigen. Wir brauchen Sie, um nicht das Hoffen, sondern auch das Fordern einer lebenswerten und gerechten Zukunft aufrechtzuerhalten. Wir brauchen Sie, helfen Sie uns bitte. – Vielen Dank, dass Sie sich solidarisieren.



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