Über eine photographische  Annäherung und kalkulierte Grenzübertretung:

Als ich im Jahr 2002 der rechts abgebildeten Mariam K. zum ersten Mal begegnet bin, hatte sie sich bereits eine eigene Sprache "zugelegt" und in ihrer eigenen Welt eingerichtet. Sprachlich vermischten sich zum Teil einzelne Wörter ihrer eigenen russischen Muttersprache mit ganz neuen Wortschöpfungen, einer Lautsprache, zu einer besonderen Ausdrucksform. Naturgmeäss konnte das Gespräch mit ihr über sie, ihre Vergangenheit, wie sie knapp dem Holocaust entrinnen konnte - sie wurde damals von Kiev nach Taschkent evakuiert - nicht mehr geführt werden. 

So konnte ich sie auch nicht mehr fragen, ob sie etwas einzuwenden hätte, von mir fotographiert zu werden. Wie nähere ich mich dann aber einem Menschen an, wie we kann ich ihm und seiner eingeschrieben Würde gerecht werden, wenn ich mir buchstäblich ein "Bild" von ihm mache, aber mit ihm darüber auch nachträglich nicht mehr sprechen kann. Läßt sich diese bewusste Anordnung des lichtbildenden Voyeurismius, der in diesem Akt naturgemäss liegt, rechtfertigen.? Bzw., wann lässt sich nach welchen Kriterien ein Bild würdevoll im Sinne der betroffenen abgelichteten Person auffassen und schliesslich als auszustellende Abbildung vertreten? Dabei soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass selbst die Genehmigung, ein Bild von jemanden zu machen keineswegs unproblematisch ist, was ein Zeigen, bzw. die Bildverögffentlichung betrifft. - Wenn ich mich als Fotograf nur als Erfüllungsgehilfe von Selfies aus grösserer Entfernung in Anspruch genommen sehe, darf man getrost von xbeliebiger Knipserei ohne jeglichen Wahrheitsanspruch sprechen. -  Insofern entspricht die Fotografie einer dementen, gleichsam postegozentrischen Person einerseits fast einem Ideal, das aber gleichzeiotig als Tabu hervortritt




Mariam Krichmar, s.A.(11.11.1913 - 16.2.2006)















Die damals Neunzigjährige - sie ist im Februar 2006 verstorben wie bereits zuvor ihr einziger Sohn, der den Nachwirkungen der Tschernobyl-Katastrophe erlag -, zeigte während des Tages Phasen, in denen sie am Geschehen regen Anteil zu nehmen schien. Mit ihren ausgestreckten, fast suchenden Händen nahm sie buchstäblich Tuchfühlung zu Personen im Raum, ihrer Umgebung auf. Dabei setzte sie ihre ganz eigene Sprache ein, die  aus Silben, Vokal-Reihen und  sich steigernden Einzelworten, sowohl in russisch, als auch in ukrainisch, zusammen gefügt war.

Gelegentlich der Photoserie aber, die ich von ihr fertigen konnte - eines wurde prämiert und in einem Kalender der "Deutschen Alzheimergesellschaft" veröffentlicht - befand sie sich einer entgegengesetzten, ja kontemplativen Phase. Ungeachtet meiner Apparatur zu ihrer Linken, aufgetützt auf ihre Hand in der Pose, wie sie für gewöhnlich Schriftsetller oder Philosophen einnehmen, ließ sie mich und mein Ansinnen gewähren.

Daraus ist jene Abbildung, Momentaufnahme, aber letztlich auch Grenzverletzung entstanden, die über den Blick auf eine "demente Person" auch etwas anderes beschreibt.

TH



 

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