Nota bene   Diese Sammlung von Presse-Artikeln im Vorfeld des NSU-Verfahrens ist lose und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. -       Alle Rechte verbleiben bei den Autoren und Publikationsorganen.- TH 

 

 

 

 

Pressekonferenz am Montag, den 29.4.13, zur Medien-Platzverlosung im am 6. Mai 2013 beginnenen NSU-Prozess

 
 

 

 

 

 
  Frankfurter Allgemeine, 19.4.13  
 

NSU-ProzessJustiz-Lotto

 ·  Zum Glück gilt für die Zulassung zu dem wichtigen NSU-Prozess auch weiterhin nicht das übliche Lotto-Motto: Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Das Losverfahren für die Medien führt zu neuen Fragwürdigkeiten.

Hoffentlich hat Justitia als Lottofee eine glückliche Hand. Hoffentlich streikt die Trommel nicht, wenn die Plätze für den NSU-Prozess neu vergeben werden. Das Oberlandesgericht München hat sich für die große Lösung entschieden, nachdem das Verfassungsgericht die ursprüngliche Zulassung der Öffentlichkeit als chancengleichheitswidrig beanstandet hatte.

Nun heißt es: Alle zurück auf Los – und das Los entscheidet dann auch. Kein Medium ist gesetzt, aber bestimmte Gattungen sind es. Und hier erweist sich das Gericht, genauer: sein 6. Strafsenat, genauer: dessen Vorsitzender, wieder als etwas aus der Zeit gefallen. So sind Online-Medien als eigene Art nicht benannt.

Dafür ist dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon jetzt eine lange Bank reserviert. Die großen Sender – ohnehin im Glücksspiel erfahren – müssen nicht um einen Hauptgewinn zittern. Doch die Zeiten, da im Wesentlichen diese Anstalten „die“ Öffentlichkeit waren, sind längst vorbei.

Das ist ebendas Problem von Kontingenten: Wer hat nicht alles ein besonderes Interesse? Zu Recht hat Karlsruhe das Oberlandesgericht an das Offensichtliche erinnert: das gesteigerte Bedürfnis jener Medien aus den Herkunftsländern der Opfer des rechtsterroristischen NSU. Mit zusätzlichen Plätzen und einem auch kurzfristig möglichen fairen Verteilungsverfahren für jene ausländischen Berichterstatter hätte es sein Bewenden haben können.

Neue Fragwürdigkeiten

Jetzt führt der Wille, es wieder einmal besonders korrekt machen zu wollen, zu neuen Fragwürdigkeiten. Das Losverfahren, auf das in anderen Großverfahren bisher fast immer verzichtet werden konnte, wird auf zweifelhafte Weise eingeschränkt: Es gibt nämlich ein – dieses Mal nationales – Interesse an der durch die Bundesanwaltschaft verfolgten, ganz Deutschland durchziehenden Mordserie, das nur überregional erscheinende Zeitungen und Zeitschriften befriedigen können. Es kann sein, dass sie alle im Gerichts-Lotto leer ausgehen.

Das kommt davon, wenn man Medien nur nach Erscheinungsweise unterscheidet statt nach Reichweite und Anspruch. Es bleibt zu hoffen, dass der Senat wenigstens in der Hauptverhandlung (die viele Beobachter angesichts übertriebener Erwartungen enttäuschen dürfte) einen bisher nicht erkennbaren Blick für das Wesentliche zeigt. Zum Glück gilt für die Zulassung zu diesem wichtigen Prozess auch weiterhin nicht das übliche Lotto-Motto: Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

 
 

Presseplätze für NSU-Prozess: Schlechtes Los

Ein Kommentar von Gisela Friedrichsen, Spiegel-Online, 29.4.13

Beim NSU-Prozess in München müssen viele große Medien draußen bleiben. Sie gingen bei der Verlosung der Presseplätze leer aus, sie sind Opfer des Verfahrens geworden. Dabei wäre die Alternative so einfach gewesen.

 
 

Am schlimmsten traf es wohl die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Schließlich gilt sie als die überregionale deutsche Zeitung, die in aller Welt gelesen wird. Und ausgerechnet dieses renommierte Blatt wird, wie es seit Montagmittag aussieht, nicht mit einem eigenen Berichterstatter im vielbeachteten NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München vertreten sein.

Auf dieses Strafverfahren schaut nicht nur Deutschland. Denn es geht in ihm doch um nicht weniger als die Frage, ob hierzulande tatsächlich schon wieder Menschen aus rassistischer Gesinnung umgebracht werden können, nur weil sie die falsche Haar- oder Hautfarbe haben oder einen ausländisch klingenden Namen oder nicht-deutscher Herkunft sind. Und überdies geht es um die Frage, ob Vorurteile gegen solche Menschen den Blick der Strafverfolger nicht doch so sehr trübten, dass die Täter ein Jahrzehnt lang unentdeckt bleiben konnten.

 

Die "FAZ" rühmt sich nicht zu unrecht, eine der wichtigsten Stimmen Deutschlands in der Welt zu sein. Aber auch andere bedeutende inländische Blätter gingen leer aus: Keiner einzigen Hauptstadt-Zeitung zum Beispiel war der Zufall hold, nicht dem "Tagesspiegel", nicht der "Tageszeitung" oder der "Berliner Zeitung". Die "Zeit" bekam keinen festen Platz. Sie alle werden sich nicht selbst ein Bild von dem Prozess machen können, sondern auf die Eindrücke und Einschätzungen anderer angewiesen sein.

Es droht ein unwürdiges Gerangel

Dafür traf das Los die "Pforzheimer Zeitung" oder die in der öffentlichen Wahrnehmung doch recht randständige "Oberhessische Presse Marburg". Für Lokalblätter wie die "Passauer Neue Presse" gab es einen Sitzplatz, ebenso für die "Allgäuer Zeitung" und die "Lübecker Nachrichten", sei er ihnen gegönnt. Doch welche Bedeutung hat ihre Berichterstattung für das nationale und internationale Interesse an dem Prozess? Die Frauenzeitschrift "Brigitte" ist dabei, nicht aber der "Stern". Was ist mit den Online-Diensten?

Werden sie jemanden finden, der seinen Platz großmütig abgibt? Oder bei Ebay gegen Höchstgebot versteigert? Es droht ein unwürdiges Gerangel um die Teilhabe an einem der wichtigsten Gerichtsverfahren der letzten Jahre. Dies hätte verhindert werden müssen. Es hätte auch verhindert werden können.

Das Losverfahren war die schlechteste aller denkbaren Varianten einer Platzvergabe angesichts des beschränkten Zuschauerraums im Münchner Schwurgerichtssaal. Warum hat der Vorsitzende des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, der Herr des Verfahrens, nicht Gebrauch gemacht vom Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts, für türkische Medien "ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen"? Sie hatten wegen zu später Anmeldung beim ersten Durchgang, bei dem nach dem Prioritätsprinzip (Wer zuerst kommt, mahlt zuerst) verfahren wurde, keine reservierten Sitzplätze bekommen und dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Ihr Argument: Da zahlreiche Opfer der Rechtsterroristen des "Nationsozialistischen Untergrunds" türkischer Herkunft sind, hätten sie ein besonderes Interesse an einer "vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung". Dieses Argument war nicht zu ignorieren.

Die Fehler des Richters Götzl

Das Verfassungsgericht hat dem Vorsitzenden Götzl ausdrücklich nahegelegt, den türkischen Medien einfach ein paar Plätze aus dem allgemeinen Zuschauerkontigent von 51 Sitzen zu überlassen, die dann ausgelost oder wiederum nach dem Prioritätsprinzip hätten vergeben werden können. Wörtlich heißt es in der Mitteilung des Karlsruher Gerichts: "Auch ist der Nachteil für die allgemeine Öffentlichkeit, der dadurch entsteht, wenn mit einem Zusatzkontingent einige wenige Plätze der Saalöffentlichkeit bestimmten Medienvertretern zur Verfügung gestellt werden, verhältnismäßig geringer..."

Dieser Weg wäre also gangbar gewesen, ein Revisionsgrund hätte sich daraus nicht ergeben. Die Schwergewichte unter den Medien hatten sich im ersten Akkreditierungsverfahren allesamt rechtzeitig gemeldet. Das Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb wäre also auch gewahrt geblieben.

 

Nun aber ist "Radio Lotte Weimar" akkreditiert und "Charivari" aus München. Radiosender, die entweder einem größeren Hörerkreis unbekannt sind oder als Lieferanten seichter Unterhaltung gelten. Die Liste der vom Zufall begünstigten Medien wie der SPIEGEL oder der vom Losglück verschmähten löst eigentlich nur Kopfschütteln aus.

Richter Götzl wollte offensichtlich dem guten Rat des Verfassungsgerichts nicht folgen, sondern lieber seinen eigenen Kopf durchsetzen. Es war ein Fehler von ihm, die Anfälligkeit des Prioritätsprinzips nicht erkannt zu haben. Doch mit dem von ihm gewählten Losverfahren hat er das große Los auch nicht gezogen. Kein gutes Vorzeichen für den am kommenden Montag beginnenden Prozess.

DIE ZEIT, 29.4.13

NSU-PROZESSUnsägliches Schauspiel in München

Große Medienhäuser sind beim Losverfahren um den Zschäpe-Prozess leer ausgegangen, darunter auch wir. Dem Gericht fehlte es an Souveränität, findet K. Polke-Majewski.

So kann es gehen: Da kämpft man für Gerechtigkeit und ist am Ende selbst der Gelackmeierte. Scharf hatten die ZEIT und ZEIT ONLINE das Verfahren kritisiert, nach dem das Münchener Oberlandesgericht diejenigen Medien ausgewählt hatte, die feste Plätze im NSU-Prozess erhalten sollten. 

Unerträglich war uns, dass kein einziges türkisches Medium unter den Ausgewählten war. Erleichtert waren wir deshalb, als das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der türkischen Zeitung Sabah den ausländischen Kollegen zu ihrem Recht verhalf. Das Münchener Gericht begann daraufhin das ganze Verfahren neu. Diesmal gewann nicht der Schnellste, sondern es wurde gelost. Jetzt ist unser Platz weg. 

 

Vertreten ist abermals eine bunte Mischung sehr unterschiedlicher Medien, darunter Radio Lora München, die Allgäuer ZeitungSvenska Dagbladet, Hallo-Muenchen.de, Focus, das Süddeutsche Magazin, BrigitteBild, der Spiegel. Nicht dabei sind die großen deutschen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine,Süddeutsche Zeitung, Welt, Tageszeitung. Auch nicht internationale Nachrichtenagenturen wie AP, Reuters oder AFP.

Man kann nun sagen, so sei es eben, wenn der Wettbewerb sportlich fair ist. Beim Losen haben alle gleiche Chancen, die Großen wie die Kleinen. Warum sollen dann nicht auch die Kleinen gewinnen? Nur geht es hier nicht um ein lustiges Sportfest. Sondern darum, dass eine einzigartige Terrorserie juristisch aufgearbeitet werden soll, die mitten in Deutschland stattgefunden hat. Inmitten unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft.

Mehr Weitsicht und Souveränität bitte

Und hier steckt der eigentliche Fehler dieses Verfahrens. Dieses Gericht ist nicht in der Gegenwart angekommen. Sonst hätte es nicht so blind über Selbstverständlichkeiten hinweggehen können:

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Selbstverständlich interessieren sich ausländische Medien dafür, wenn ihren Landsleuten oder deren Nachfahren hierzulande Böses geschieht.

 

Deutschland ist ein modernes Land. Selbstverständlich gehört eine Übertragung per Video zum normalen Standard in Unternehmen, in der Politik, bei gesellschaftlichen Ereignissen, um möglichst vielen Menschen eine Teilnahme zu ermöglichen.

Deutschland ist ein vielfältiges Land, gerade in der Mediennutzung. Selbstverständlich müssen Onlinemedien in einem Auswahlverfahren als eigenständige Bewerber gleichwertig einbezogen werden, wie es ja auch mit den verschiedenen Fernsehsendern der ARD geschehen ist.

 

Doch das erste Problem musste erst das Verfassungsgericht lösen. Künftig wird kein Gericht mehr unbedacht lassen, aus welchem Land die Opfer stammen. Auch das Thema Videoübertragung könnte alsbald in Karlsruhe behandelt werden; neue Klagen sind jedenfalls schon angekündigt. Noch besser wäre es, wenn der Gesetzgeber schnellstmöglich klare Verhältnisse schafft und die Übertragung erlaubt. Zum dritten Punkt hätte sich das Gericht nur einmal bewusst machen müssen, dass rund 60 Prozent der 53 Millionen Internetnutzerinzwischen politische Informationen regelmäßig aus dem Internet beziehen.  

Wochen schon währt nun dieses unsägliche Schauspiel. Am kommenden Montag soll der Prozess eröffnet werden. Bleibt zu hoffen, dass das Gericht in der Sache, um die es tatsächlich geht, mehr Weitsicht und Souveränität zeigt.

 
     
  Frankfurter Allgemeine, 30.4.13  
 

NSU-ProzessDie Farce geht weiter

 ·  Die Ziehung der Presseplätze für den NSU-Prozess mag noch so korrekt verlaufen sein: Die Kontingente, die Beschränkungen des Verfahrens sind weltfremd und nicht sachgerecht.

 
 

Die Posse um den NSU-Prozess ist immer noch nicht zu Ende. Aus einem einfachen Grund: Das Oberlandesgericht München hat schlicht ein Problem mit der Öffentlichkeit. Und das ist hausgemacht. Die „Angriffe“ auf das Gericht hatten und haben ihren Grund im Umgang des 6. Strafsenats mit den Medien im NSU-Verfahren. Dieser Prozess ist in vieler Hinsicht einzigartig. Die vielen Opfer der rechtsterroristischen Gruppe sind samt ihren Anwälten am Verfahren beteiligt; sie haben Sitz und Stimme. Mit gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht außerdem an etwas erinnert, was das Oberlandesgericht schon zuvor hätte berücksichtigen müssen: dass insbesondere die Medien aus den Herkunftsländern der Opfer ein besonderes Interesse an einer „vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess“ geltend machen können.

Diesem Anspruch hätte man auch nach der Karlsruher Entscheidung noch gerecht werden können, ohne die große Lostrommel zu rühren. Jetzt freut man sich über eine gerechte Auswahl, damit die Hauptverhandlung endlich beginnen möge: Doch mag die Ziehung selbst noch so korrekt verlaufen sein - ein Notar und Hans-Jochen Vogel mögen es bezeugen - die Kontingente, die Beschränkungen des Verfahrens sind weltfremd und nicht sachgerecht. Und zwar nicht deshalb, weil lokale und regionale Medien zum Zuge kamen. Sondern weil es bei diesem Verfahren um eine nationale Sache im schrecklichen Sinn geht, um die Aufklärung einer Mordserie, die dieses Land als Ganzes betrifft. Darum hätte ein verständiges Gericht, wenn es schon Kontingente bildet, auch Medien mit einem nationalen Anspruch berücksichtigen müssen. Im Gegensatz zur Behandlung der überregionalen Zeitungen und Zeitschriften sind zudem einmal mehr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleichsam Plätze reserviert.

Es ist ja richtig: Die Öffentlichkeit soll nicht überhöht werden. Aber genau das macht das Oberlandesgericht München mit seiner Ziehung der Mediennamen. Es trägt selbst die Verantwortung dafür, dass die strafrechtliche Wahrheitsfindung - hoffentlich nur einstweilen - in den Hintergrund getreten ist. Öffentlich war diese Lotterie übrigens nicht. Warum? Ist dieses Glücksspiel tatsächlich mit einem Kaufvertrag vergleichbar? Hoffentlich muss nicht auch die Hauptverhandlung von einem Notar beaufsichtigt werden.

 
     
     
  DIE WELT, 1.5.13  
 

Papier kritisiert Losverfahren bei Prozess

 
 

Der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kritisiert die Platzzuteilung im NSU-Prozess. Er spricht von "Merkwürdigkeiten" und plädiert für eine Videoübertragung.

 
 

Von 

 

 
 

Die Welt: War es nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geboten, das Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe zu verschieben und die Presseakkreditierung von Neuem zu beginnen?

Hans-Jürgen Papier: Man muss anerkennen, dass dieses Verfahren von seiner Bedeutung und Größenordnung exzeptionell ist. Wir haben es allein mit 80 Nebenklägern zu tun. Das ist ziemlich einmalig in der deutschen Prozessgeschichte. Ich gehe davon aus, dass die Strafkammer und ihr Vorsitzender das daraus resultierende Raumproblem nach bestem Wissen und Gewissen bewältigen wollten. Das zunächst gewählte Windhundverfahren ist vom Bundesverfassungsgericht beanstandet und dann vom Oberlandesgericht durch das Losverfahren ersetzt worden. Dass die jetzt gefundene Lösung bei aller juristischer Unanfechtbarkeit gleichwohl nicht befriedigen kann, das leuchtet ein.

Die Welt: Ist sie juristisch wirklich unanfechtbar?

Papier: Wenn man sich für das Losverfahren entscheidet, dann kann es diese Merkwürdigkeiten geben, das liegt in der Natur des Losens. Aber das Bundesverfassungsgericht hat dem Strafgericht in seiner Eilentscheidung ausdrücklich die Möglichkeit bescheinigt, das Vergabeverfahren für die begrenzten Presseplätze neu zu starten. Ob per Los- oder Prioritätsverfahren, dafür sind keine Vorgaben gemacht worden.

Die Welt: Sehen Sie die Möglichkeit, eine Videoübertragung in Karlsruhe einzuklagen?

Papier: Ein erster Antrag eines Nebenklägers auf eine Videoübertragung in einen weiteren Raum ist wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen worden, weil keine Verletzung eigener Grundrechte geltend gemacht wurde. Deshalb ist eine Aussage in der Sache durch das Bundesverfassungsgericht noch nicht erfolgt. Nach meiner Auffassung ist eine solche Übertragung kein zwingendes rechtliches Gebot. Sie wäre aber eine Frage der pragmatischen Klugheit. Ich persönlich hätte die Pressebank deshalb von vornherein dergestalt erweitert, dass ich eine Videoübertragung in einen Nachbarraum für die akkreditierten Journalisten eröffnet hätte. Das würde möglicherweise rechtlich angezweifelt werden. Aber man muss für ein so außergewöhnliches Verfahren die gesetzlichen Vorschriften über das Verbot von Fernseh- und Tonaufnahmen aus der Hauptverhandlung nach Sinn und Zweck interpretieren. Und dabei hätte man nach meiner Auffassung zu dem Ergebnis kommen können, dass eine solche begrenzte Übertragung innerhalb des Gerichts ohne Aufzeichnungsmöglichkeit möglich ist.

Die Welt: Wäre eine Klarstellung des Gesetzgebers hilfreich?

Papier: Das wäre sicherlich sinnvoll und für den Vorsitzenden einer jeden Strafkammer künftig eine Erleichterung. Denn klar ist doch auch: Die zentrale Aufgabe eines Strafgerichts ist nicht die Beteiligung der Medienöffentlichkeit, sondern die verfassungs- und gesetzmäßige Durchführung eines Strafverfahrens. Gerade bei einem Verfahren dieser Größenordnung gibt es noch genügend andere, schwierige Probleme bei der Wahrheitsfindung.

 
     
  Frankfurter Allgemeine, 2.5.13  
 

NSU-ProzessUnd in den Fingern der Lottofee

 ·  Das Münchner Gericht, vor dem der NSU-Prozess verhandelt wird, beklagt sich über Angriffe, die „in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien. Das beste Beispiel für fehlendes Gespür für die Bedeutung eines wahrhaft beispiellosen Falles liefert das Gericht freilich selbst.

 
     
     
     
     
 

Die alte römische Juristenweisheit, dass man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sei, muss nun wohl ergänzt werden um: und in den Fingern der Lottofee. Das galt jedenfalls für alle Zeitungen und Sender, ob von nationaler oder eher kabarettistischer Bedeutung, die sich um einen festen Berichterstatter-Platz im sogenannten NSU-Prozess bemüht hatten. Bei der Verkündung des Auslosungsergebnisses konnte schon die Sprecherin des Gerichts kaum das Lachen halten, obschon der Gerichtspräsident zuvor mit todernster Miene den beispiellosen Satz gesagt hatte, sein Gericht sei Angriffen ausgesetzt gewesen, „die in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien.

Ob man zu diesen „Angriffen“ auch die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zählen soll, die das Münchner Gericht dazu veranlasste, das Verfahren zu wiederholen?

Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein Königlich Bayerisches Oberlandesgericht den Großkopferten in Karlsruhe und diesen Zeitungsschmierern, „die ohne nachhaltige juristische Durchdenkung Rechtsmeinungen zum Teil ungeprüft weiterverbreitet“ und „die Aufgabe des Gerichts nicht verstanden“ haben (Zitate des Gerichtspräsidenten), zeigen wollte, wo der Sitzungshammer hängt: Das habt ihr nun davon. Das Münchner Gericht hätte auch dem Fingerzeig aus Karlsruhe folgen und die erste Auswahl um ein paar Plätze erweitern können. Es wollte aber nicht.

Im Ergebnis, an dem die wegen Schlamperei des Gerichts nötig gewordene Nachverlosung nicht mehr viel ändern wird, können jetzt, wie gewollt, türkische Zeitungen, aber auch Radio Lotte Weimar und Al Dschazira von jedem Prozesstag aus erster Hand berichten, nicht aber große deutsche Blätter, die auch im Ausland verbreitet werden.

Sie sehen, wie diese Zeitung, von Klagen gegen das fehlerhafte und verfassungsrechtlich bedenkliche Verfahren auch deshalb ab, weil erfolgreiche Beschwerden zu einer weiteren Verzögerung des Prozessbeginns führen könnten.

Im In- und Ausland erhofft man sich von diesem Verfahren aber endlich Aufklärung darüber, wie es möglich war, dass eine rechtsextremistische Terroristenbande mordend durch Deutschland ziehen konnte, ohne dass ihr Polizei und Justiz auf die Schliche kamen. Und warum die lange Geschichte des fehlenden Gespürs für die Bedeutung dieses wahrhaft beispiellosen Falls immer noch nicht an ihrem Ende angekommen ist.

 

 

Presseplätze beim NSU-Prozess: Warum wir notfalls klagen

Von  am 01.05.2013 um 16:49

Zehn lange Jahre zog die neonazistische Terrorzelle NSU mordend durch Deutschland. Zehn Jahre lang blieb ihr Tun unentdeckt. Weil die Polizei davon ausging, dass die Mörder der neun Männer aus dem Einwanderermilieu stammten. Wie die Opfer selbst. Das Unwort „Dönermorde“ etablierte sich. Deutschland versagte auf vielen Ebenen. Politiker und Medienschaffende eingeschlossen.

 

Der NSU-Prozess wird zu Recht als einer der wichtigsten Prozesse in der deutschen Nackriegsgeschichte bezeichnet. Weil es neben der Aufklärung der Morde auch um die Frage geht, wie der deutsche Rechtsstaat über einen so langen Zeitraum so kläglich versagen konnte, wie also Deutschland heute mit rechtem Terror umgeht. Die Welt blickt auf diesen Prozess. Eine Bedeutung, die das Oberlandesgericht München von Anfang nicht akzeptierte. Bis heute unfassbar, dass nicht selbstverständlich Presseplätze für internationale Medienvertreter zur Verfügung gestellt wurden, allem voran für VertreterInnen türkischsprachiger Medien. Ein Prozess, bei dem es auch darum geht, wie durchdrungen deutsche Staatsdiener von braunem Gedankengut sind, sollte unter Ausschluss der internationalen Presse geführt werden?

Nicht zu glauben.

Nun wurde nachgebessert. In einem Losverfahren wurden bestimmte Kontingente für ausländische Medien zur Verfügung gestellt. Das war richtig.

Gänzlich falsch und der deutschen Presselandschaft in keiner Weise angemessen ist die Art der Kontingentierung der deutschen Presseplätze. Denn ganz klar wurden dabei die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die großen Medienkonzerne, die sich mit diversen Publikationen bewerben konnten, bevorzugt und damit die gebotene Chancengleichheit für die Dauer des gesamten Prozesses verletzt. So kam es zu dem gänzlich absurden Ergebnis, dass keine einzige überregionale Tageszeitung einen Platz bekommen hat und einzig die Süddeutsche Zeitung über ihr wöchentliches Magazin verbindlichen Einlass bekommt.

Wir bereiten derzeit eine Klage vor, die wir einreichen wollen, wenn die taz es nicht schafft, über eine Kooperation mit anderen Medien ihrer Leserschaft zu garantieren, verlässlich und kontinuierlich von dem Prozess zu berichten. Der Termin des Prozessbeginns wird dadurch nicht beeinflusst.

Denn es ist schlicht nicht haltbar, dass Zeitungen mit nationalem Anspruch und ihrer ausgewiesenen Kompetenz, den Verlauf des Prozesses einordnen und analysieren zu können, sich nur aus zweiter Hand informieren können.

Es ist richtig, dass durch die Anwesenheit von Agenturen wie dpa und Medien wie der Süddeutschen und dem Spiegel die Pressefreiheit als solche gewahrt ist. Aber bei diesem Prozess geht es um sehr komplexe Fragestellungen, die aus möglichst vielen Perspektiven beobachtet werden sollten.

Wenn die taz dieses Recht einfordert, dann nicht, weil, wie teilweise kritisiert wird, JournalistInnen sich mal wieder so wichtig nehmen. Sondern weil der Prozessgegenstand so wichtig ist. Der zehn Jahre währende Terror hat gezeigt, wie dringlich es ist, genau hinzuschauen.

 

DIE KRIEGSREPORTERIN

Die vierte Gewalt passt auf

KOLUMNE VON SILKE BURMESTER, Tageszeitung (Taz) 1. 5.13

Hallo taz-Medienredaktion!

 

Die Brigitte also. Und „Radio Lotte Weimar“ haben das große Los gezogen und dürfen über das NSU-Verfahren berichten. Na, da ist doch die Kontrollfunktion der vierten Gewalt in diesem Land gesichert. Antworten auf die Fragen: „Wie lebte es sich mit zwei Männern?“, „Ungeschminkt am Frühstückstisch?“ ebenso wie die „Top-Ten-Hits des Terror-Trios“ werden uns bald nicht länger fremd sein.

Um meine Laune etwas zu heben, überlege ich, drei Wochen lang dieFAZ zu testen. Die wird mir nämlich zusammen mit der FAS für 8,78 Euro nachgeschmissen. Was für sich genommen ja noch nicht die Laune hebt. Aber, Obacht, es gibt einen ferngesteuerten Hubschrauber dazu. Das hat mir im ersten Moment wahnsinnig gut gefallen. Unten, auf dem Boden der Tatsachen, die knallhart recherchierten Informationen und die klugen Gedanken vom Wortführer der neuen Linken, Frank Schirrmacher, oben, im Himmel, der Spaß. Die Grenzenlosigkeit. Dem Flugobjekt als Sinnbild der freien Gedanken beim Kreisen zuschauen.

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Zschäpe-Gefängnis: Einzelzelle, karierte Bettwäsche

Von Julia Jüttner, Spiegel-Online, 1.5.13

Es ist ein Wiedergutmachungsversuch der Münchner Behörden: Der türkische Sender TRT durfte als erstes ausländisches Medium im Frauentrakt der JVA Stadelheim drehen, wo Beate Zschäpe einsitzt. Anfangs wurde die Inhaftierte bespuckt und angefeindet, inzwischen hat sie Kontakte aufgebaut.

 
     
 

Karl Huber ist Präsident des Oberlandesgerichts München (OLG) und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Für die umstrittene, viel kritisierte und teils auch chaotische Platzvergabe im Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte musste er oft den Kopf hinhalten. Nach dem Losverfahren am Montag haben vier türkische Medien nun einen sicheren Platz.

 

Doch Huber hat bereits Tage zuvor Wiedergutmachung geleistet. Eineinhalb Stunden lang gab er dem türkischen Fernsehsender TRT ein Interview, deutschen Medien hatte er diesen Wunsch verwehrt. Eine Geste für die türkischen Journalisten, die ihm wichtig war, wie er SPIEGEL ONLINE sagt. "Es war ein sehr gutes Gespräch, in dem es auch darum ging, die entstandenen Unstimmigkeiten zu minimieren", so Huber.

 

Er sei "entsetzt" darüber, dass die Ermittlungsbehörden in all den Jahren nicht in der Lage gewesen seien, die Mordserie aufzuklären, sagt Huber in dem Fernsehinterview. Er bedauere auch, dass der Vorsitzende Richter des 6. Senats beim ersten Akkreditierungsverfahren für Journalisten mit seiner Annahme falsch lag, dass "die, die das größte Interesse an dem Prozess haben, sich auch als erstes anmelden". Vural Ünlü, Vorstandsvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Bayern, hatte das Treffen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Sender aus Ankara und dem OLG-Präsidenten koordiniert.

Als erstes ausländisches Medium bekam TRT auch eine Drehgenehmigung für die Justizvollzugsanstalt Stadelheim (JVA), in der seit Mitte März Beate Zschäpe und seit Oktober der ebenfalls angeklagteRalf Wohlleben untergebracht sind. "Anfangs wurde Beate Zschäpe bespuckt und angefeindet", so Ünlü, inzwischen habe sie Anschluss zu anderen Häftlingen gefunden und Kontakte aufgebaut. Den psychologischen Dienst der Anstalt habe sie nicht in Anspruch genommen.

Der Frauentrakt mit karierter Bettwäsche ähnelt einer Jugendherberge, die Zimmer sind allerdings mit Flachbildfernseher und Schreibtisch ausgestattet. Zschäpe sitzt in einer Einzelzelle, für Untersuchungshäftlinge üblich, nur aus Platzmangel in den meisten Gefängnissen oft nicht umsetzbar. Auch Standard: ein präparierter Laptop zum Sichten der Akten für die Vorbereitung zur Hauptverhandlung, aber ohne Internetanschluss.

"Aus unserer Sicht ist dieses Gericht erledigt"

Auch Landespolizeipräsident Waldemar Kindler traf sich mit den türkischen Journalisten. "Nur Horst Seehofer, sein Staatskanzleichef und Justizministerin Beate Merk sind zu keinem Gespräch mit Reportern aus der Türkei bereit", kritisiert Ünlü. Dabei sei gerade der Ministerpräsident als Landesvater politisch dafür verantwortlich, dass Bayern sein Image gerade rückt.

Die Staatskanzlei bestätigte die Anfragen des Senders, stellte jedoch klar: "Die Staatsregierung achtet die Unabhängigkeit der Gerichte uneingeschränkt. Der Ministerpräsident und der Staatskanzleichef kommentieren deshalb verfahrensleitende Maßnahmen des Oberlandesgerichts München nicht", erklärte ein Sprecher der Bayerischen Staatskanzlei. Das gelte sowohl für inländische als auch für ausländische Medien.

"Wir haben keine Anfragen abgewimmelt", betonte Wilfried Krames, Sprecher des bayerischen Justizministeriums. Vielmehr habe die JVA Stadelheim eine Sondergenehmigung für einen Dreh innerhalb der JVA organisiert. "Wir haben aber um Verständnis gebeten, dass sich ein Interview zu richterlichen Verfahrensentscheidungen wegen der richterlichen Unabhängigkeit verbiete und daher auf rechtspolitische Fragen konzentrieren müsse. Viele Fragen, die gestellt werden sollten, bezogen sich jedoch auf die richterliche Unabhängigkeit", so Krames.

Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Bekir Bozda hatte im Zusammenhang mit dem ersten gescheiterten Akkreditierungsverfahren geäußert, dass das OLG München sowohl seine Legitimität als auch seine Neutralität verspielt habe. "Dieses Gericht hat dieses Verfahren schon vor Prozessbeginn beendet", sagte er. Er erwarte kein gerechtes Urteil mehr. "Aus unserer Sicht ist dieses Gericht erledigt."

 

OLG-Präsident kommentierte diese Äußerungen erstmals im Interview mit TRT. "Solchen Behauptungen muss ich entschieden entgegentreten. Die deutsche Justiz und auch dieser Senat, der zu entscheiden hat, ist absolut unabhängig und objektiv und wird dieses Verfahren in rechtsstaatlicher Art und Weise durchführen."

 

Ünlü, Vorstandsvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Bayern, wertet diese Äußerungen als "spiegelbildlich zu den Geschehnissen um den Fall Marco Weiss". Der Uelzener hatte 2007 im Urlaub in Antalya mit einem 13-jährigen Mädchen eine Liaison, kam wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs in Untersuchungshaft und wurde in dem türkischen Urlaubsort zu einer Bewährungsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt. Seine Inhaftierung führte zu diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei.

"Infolgedessen kam die türkische Justiz ins Visier von deutschen Politikern und Medien, die EU Beitrittsfähigkeit der Türkei wurde in Frage gestellt", konstatiert Ünlü. "Umgekehrt entsteht nun angesichts des Akkreditierungschaos in München auf türkischer Seite Frust und vereinzelt Revanchegelüste seitens der türkischen Politik."

 
     

 

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