Peter Scholl-Latour - einer der letzten Welterklärer - ist im 91. Lebensjahr gestorben.

 
 

Ein beeindruckender Journalist, der auch immmer Partei war, ein Deutsch-Franzose, der einem angestammten westdeutschen Pazismus mit einem am neu-machiavellistischen Realismus orientierten Bellzismus begegnete. - Einer, der auch noch im hohen Alter eine Streitlust an den Tag legte, dass es eine wahre Freude war.- In den weichgesspülten Talk-Shows unserer Tage trat er mal als sophistischer Landsknecht auf, mal als Advocatus Diaboli. - Für den Franzosen schien auch über die Jahrzehnte ein Amerika-kritischer bis antiamerikanischer Zungenschlag verbindlich zu sein, wenn er nicht müde wurde hervorzuheben, dass nach dem gloriosen Sieg über Hitler-Deutschland und das kaiserliche Japan 1945, kein einziger Krieg der USA mehr erfolgreich verlaufen sei. - Das stand auch in Verbindung mit seiner Position als ausgewiesener "Araber-Versteher" und dass er sozusagen als "embedded journalist" mit dem späteren iranischen Ayatollah Khomeini im Flugzeug nach Teheran sass, am Vorabend der Iranischen Revolution. Ganz zu schweigen von dem Genie-Streich journalistischer Arbeit aus dem Jahr 1973, als es ihm gelang, aus einer Gefangennahme durch den Vietkong gegen im Vietnam-Kriegs so etwas wie eine Reportage zu machen. -

Er ist naturgemäss einer der Heroen der neuzeitlichen Kriegsberichterstattung, die tatsächlich ihren Arbeitsplatz überleben konnten. - Eine nur vor dem Hintergrund des 20. Jahrhunderts möglich erscheinende Biographie. - Vom Unterschlupf vor den Nazi-Rassegesetzen 1936 in ein Schweizer Jesuiten-Kolleg bis zu dem frühen Entschluss des Zwanzigjährigen sich im August 1944 der französchischen Armee gegen Hitler-Deutschland anzuschliessen, schon früh manifestiert sich eine Virilität, eine Kämpfernatur Nachdem der Versuch im Westen scheiterte, wollte er sich der Partisanen-Armee Titos, ebenfalls erfolglos, zur verfügung stellen. - Eine Gestapo-Haft überlebt er als "Stahlbad", nach Krankheit nimmt er sich schliesslich 1945/46  im Indochina-Krieg an der Seite Frankreichs in einer Fallschirmspringer-Einheit teil.

Möglicherweise wäre eine Welt besser und wünschenswerter, die solche Männer eines solchen Schlages nicht bedurfte, um sich der Weltenlauf erklären zu lassen. - Aber um an  Thomas Hobbes zu erinnern, der seine politische Theorie des Leviathan und Behemoth auch vor dem Hintergrund kriegerischer Konflikte des 17. Jahrhunderts entwickelte, ist es vielleicht bedenkenswert, entgegen dem ortsüblichen Salon-Philanthropentum diese negative Anthropologie in Anschlag zu bringen. - Selbstredend konnte sich Scholl-Latour in den akademischen Zirkeln mit seiner aus eigener Anschauung gespeisten "Theorie" nur selten Freunde machen. - Aber einem bis zuletzt aktiven, geistig regen 90-jährigen vorzuwerfen, seine Diskursfähigkeit würde nicht mehr in allen Belangen wissenschaftlichen Standards genügen, gilt auch für Vertreter der Wissenschaften. - Scholl-Latour wollte aber aufklären, im besten Sinne journalistisch in kürzerer Zeitspanne auf Dinge reagieren können, auf Kriege, Konflikte, den sog. Clash der Zivilisationen. - Dabei nahm er in Kauf sich bisweilen zu irren. - 

Scholl-Latour, der in einem seiner letzten Interviews noch einmal davon erzählen konnte, wie er als Jugendlicher nach der Karl May-Lektüre von seinem Vater mit der Welt der Entdecker vertraut gemacht wurde, hat sich seine journalistisch-publizistische Tätigkeit auf den Leib geschneidert, um als ethnolgisch Interessierter die Welt zu bereisen. - 

Natürlich soll nicht verschwiegen werden, dass seine ostentativ ausgestellte soldatische Haltung, mit der er gegen jedwelche militärskeptische Politik polemisierte, viele verärgerte und oft nicht in den "Zeitgeist" zu passen schien. - Das trieb den Publizisten dann bedauerlicherweise auch bisweilen in die Arme chauvinistischer, national-deutscher Kreise, wie der Zeitschrift "Junge Freiheit", für die er eine Kolumne verantwortete.- Der Streit um eine Präsidentenrede hat in den letzten Wochen noch einmal eindrücklich vor Augen geführt, wie sich ein links-alternatives Milieu zwischen fundamentalistischem Gesinnungs- und pragmatischem Verantwortungs-Pazifismus noch nicht zu positionieren versteht. - Scholl-Latour selbst lässt sich parteipolitisch eben nicht verorten. - Ein bisschen Ernst Jünger - auf "rive gauche" gebürstet, ein bisschen Lawrence von Arabien-Romatik, vor-demokratisches Faible für Personen, für geborene Anführer, die Geschichte machen. - Die vom Charisma erzählen, von der persönlichen Begegnung. Kara Ben Nemsi auf französisch.. 

Der Gaullismus, zu dem er sich zu Lebzeiten des Generals bekannte, fand zu keiner Zeit eine Entsprechung im politischen Spektrum der BRD. - De Gaulle hat Hitler bekämpft, steht für die 5. Republik, für die "force de frappe", für die deutsch-französische Annäherung und nicht zuletzt für das Ende des Algerien-Kriegs, dem Ende der Kolonialmacht Frankreich.- De Gaulle und sein Bewunderer, der aus dem Elsaß und Lothringen stammt. 

Und dann: die Art mit unterhaltsam und populärwissenschaftlichen Mitteln geschriebenen Büchern und gedrehten Reportagen auf komplexe Konfliktlagen zu reagieren hat im Gegensatz zum angelsächsischen Sprachraum in Deutschland bis heute Probleme sich als seriös auszuweisen. - Sine studio et ira - diesem Leitspruch der Herangehensweise folgte Scholl-Latour gewiss nicht. - Und trotzdem sind die auf dem Hintergrund persönlicher Anschauung und eigener Ortsbesichtigungen entstandenen Analysen, dem Ruf, den er sich bis in das hinterste von Taliban kontrollierte Winkel Afghanistans erworben hatte, immer bedenkenswerte gegen den Strom und Mainstream verfasste Kommentare gewesen. - 

(in Bearbeitung)

Thomas Hauzenberger, München 16. August 2014

 

 
     

 

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