Versuch einer Annäherung:
Photographie, Möglichkeit und Grenze, einem Menschenbild gerecht zu werden.
© Thomas J.M. Hauzenberger 2000
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Obwohl ich über zwei Jahrzehnte jenem Mann fast täglich begegnete, wenn ich das Grundstück zu unserer gemieteten Wohnstatt durchmaß, oder die Wegstrecke von dem Haus zum Gartentor zurücklegte, wäre es zuviel gesagt, wenn ich bekundete, ich hätte diesen Mann gut gekannt. |
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Wer dieser Mann in seinem Leben, das sich über ein ganzes Jahrhundert erstreckte, war, über den meine Mutter wenige Tage nach meiner Geburt notierte, dass er sich wünschte mein Taufpate zu werden, ich werde darüber kaum verläßlich Auskunft geben können. Denn obwohl ich seit dieser Zeit seinen Namen trage, der gleichzeitig auch der meines Vaters ist, bin ich jenem zeitlebens nie wirklich nahe gekommen.
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Unter den Photographien, die ich im Laufe der Jahre von Josef E. aufgenommen habe -- viele sind ohne sein Wissen durchs Fensterglas entstanden -- ragt diese Moment-aufnahme besonders heraus. Wie so oft spielte bei diesem Bild einer Serie das Nichtbeabsichtigte, das Zufällige die Hauptrolle.
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Atelier v. Josef Erber, Aufnahme: Juli 2008, Foto: TH
Die Adresse:
Wohnstatt und Spielort, bewacht vom immergleichen, lauernden Bellen eines alten Mannes. Die Buche ist fort, in aller Ausführlichkeit Ihr Fenster zuletzt, der Blick zeigte ihr eines Tages jenen verlassenen, vom Baumgrün aufgegebenen Platz. Plötzlich wieder Licht, auf einmal drohte der Tag ganz hell, kein Schatten zum Atem holen, sich im Zwielicht verbergen. Das Fenster, schön unterteilt, zerlegt den Blick in sechs Segmente. Als sie das Zimmer, zu dem dieser Blick ins Freie gehört, bewohnte, sahen wir uns eher gelegentlich as. Es ergab sich von Zeit zu Zeit. Hin und wieder lief man sich über den Weg. - Sich gewollt aufzusuchen, beim anderen zu läuten, Klopfzeichen zu erproben, das war eher selten. - Was ich zum Beispiel überhaupt nicht erinnere: ihre Stimme am Telefon. - So wie man jemanden, weil aus der Nähe, nicht beim Vornamen anspricht, so verliefen wenn Begegnungen stattfanden ohne besondere Rituale des Ankommens und des Abschieds ab. In Rufweite, mehr vertraut als benachbart. Das machte die Begegnungen auch weniger feierlich: frisch bekannt gemacht, mit feinem Hemd, rotem Wein, und vielleicht dem Sehnen, geküsst zu werden, das kam nur bei bestimmten Anlässen vor.
Es gibt wenige Tage im Leben, die sich einprägen als Marksteine, als Momente, in denen klar wird,
dass eine Ära unwideruflich verloren ist. - Der Tod der Eltern, der den unbedarften Grenzverkehr zur
Kindheit verriegelt, als persönliche Dimension findet seine Entsprechung bei jenen, die wir im Über-
schwang unserer Empfindungen als wahlverwandt aufnahmen in den inneren Dialog, nenn' es den
riskanten Weg zu sich und gleichzeitig zu sich als soziales Wesen.
Der Tod von Christa Wolf, 1929 in Landsberg geboren, ist ein solcher Moment. -
Als ich 1983 ihre vielschichtige, zwischen den Fronten des schon in die Wechseljahre gekommenen
kalten Krieges beschriebene "Parabel", die sich pazifistisch, feministisch ja fast plakativ in Stellung bringt
von Troja, bzw. Mykene aus, in die Hände bekam, um in der damaligen Erregungszeit zwischen Star-Wars-
Phantasien und Nach-rüstung, personalisiert von einem deutschen Kanzler, der heute als philosophierender
Weltmann firmiert, mich mit der Kraft einer einzigartigen stilistischen Schönheit sozusagen einer Metaebene
versichern konnte, als ich also "Kassandra" las, dann bald darauf nach Ost-Berlin im Sommer fuhr, Bücher von ihr
dort erstand, da wurde mir klar, dass diese Art zu schreiben mir als Maß gelten würde - ein Leben lang.
Christa Wolf hat mich in dieser Zeit bereichert, angespornt und verfeinert, aber letztlich auch desillusioniert,
indem ich mir meiner eigenen begrenzten Mittel nur allzu gewahr wurde.- Dabei war ihre Art der
Literature engagée, wie sie ein französischer Großphilosoph propagierte, für mich das gelungene Versprechen
auf die Einheit von Beruf und Berufenheit. - Nicht dem L'art pour l'art-Prinzip, sondern einem gesellschaftlichen
Auftrag verpflichtet, die nachdenklichen, feinstofflichen Möglichkeiten herauszuarbeiten, den Menschen, wie
das schon die Fleissner sagte, zu heben. - Weil ich selbst auf meinen kurzen Stipvisiten in den Realsozialismus
schnell davon unterrichtet wurde, dass in dem miefigen, latent menschenfeindlichen System zwar fabelhafte
und verehrenswürdige Künstler ihren Wohnort, aber offenkundig keinen Einfluss auf die grundliegende Politik
hatten, war es nur ein Fünf-Minuten-Plan, der mich wie einst Biermann, in die andere Zone, in ihre Nähe emigrieren liess.
Trotzdem: Natürlich war sie privilegiert, eine Art Staatsschriftstellerin mit Freiheiten.- Auch für Kassandra konnte sie
Griechenland nicht nur mit der Seele eine Besuch abstatten, sie konnte, wie das nur Leistungssportler etc. ver-
mochten, sich hin und her bewegen. - Ich gebe zu: ich habe mich mit dieser problematischen Situation nicht wirklich
beschäftigt._ Auch von mir bekam sie einen Freifahrtsschein, denn selbst auf die Gefahr einer Verstrickung, von der
einige Jahre später ja dann auch tatäschlich berichtet werden sollte, ich empfand es als nebenrangig angesichts
eines Schreibstils, einer gleichzeitig innerlichen und doch sozialen, auf den anderen bezogenen, Schreibansatzes.
Und weil sie der Segher'sche Versteifung, Verfestigung in eine künstlich, aufgesetzt wirkende Agit-Prop-Stilistik
erfolgreich widerstand, konnte sie freilich auch von der bürgerlichen Westkultur des deutschsprachigen Bereichs
als die ihre angenommen werden.- Wirklich interessant ihre Romane auf diesen Doppelblick, auf diese zwei
so unterschiedlichen Leserschaften hin, nochmals zu lesen.
Das soll es unmittelbar nach Erhalt der Nachricht vom Tod der grossen Schriftstellerin erst einmal sein.
TH 1. Dezember 2011
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